K. Kazmaier: Parodistische Konstellationen von Nationalsozialismus und Holocaust

Cover
Titel
Parodistische Konstellationen von Nationalsozialismus und Holocaust. Erinnern zwischen Pop und Postmoderne


Autor(en)
Kazmaier, Kathrin
Reihe
Westwärts. Studien zur Popkultur (6)
Erschienen
Göttingen 2022: V&R unipress
Anzahl Seiten
479 S., 14 Abb.
Preis
€ 70,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ole Frahm, Arbeitsstelle für Graphische Literatur, Universität Hamburg

Der Diskurs über die Darstellbarkeit des Holocaust und vor allem über seine Singularität hat in jüngster Zeit wieder an Bedeutung gewonnen. Während die letzten Zeitzeugen der NS-Herrschaft sterben, geht es um nicht weniger als darum, wie die Vernichtung der Juden zukünftig erinnert werden kann. Welche Darstellungen sind geeignet, das Unfassbare dieser Vergangenheit zu tradieren? Welche Darstellungen fordern bestimmte Auseinandersetzungen heraus, ermöglichen, aktualisieren oder blockieren sie? Und reichen die bisherigen Formen und Formate aus? Die Antworten auf solche Fragen haben inzwischen eine eigene Geschichte.

Kathrin Kazmaier hat in ihrer literaturwissenschaftlichen Dissertation „Parodistische Konstellationen von Nationalsozialismus und Holocaust“ ein weit gespanntes Set an fiktionalen Arbeiten aus den letzten knapp 30 Jahren zusammengestellt: Texte (Christian Kracht: „Faserland“, Thomas Meinecke: „Hellblau“, Alexander Kluge/Gerhard Richter: „Dezember“), Comics (Walter Moers’ „Adolf“-Serie), ein Werk der bildenden Kunst (Zbigniew Liberas „Lego. Concentration Camp“) sowie Filme (Jean-Luc Godard: „Histoire(s) du cinéma“ und Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“). Sie alle seien Parodien, deren „strukturelle Unabgeschlossenheit“, wie Kazmaier schreibt, „ausgezeichnet geeignet“ sei, „Nationalsozialismus und Holocaust angemessen und auf selbsttransparente, aktualisierende und historisch bewusste Weise zu verhandeln“ (S. 431). Sie formuliert dies programmatisch gegen die „drei zentralen Probleme der ästhetischen Erinnerungskultur“, die sie als „die Frage nach der (Un-)Darstellbarkeit“, „das Ringen um Authentizität“ sowie „die Popularisierung und Verbreitung von ikonischen Bildern und Topoi“ begreift (S. 423).

Die über viele Jahre sehr differenziert diskutierte Frage, ob und wie sich die Massenvernichtung der Juden darstellen lässt, handelt Kazmaier im Nachwort mit einem Absatz ab, in dem sie die „Verantwortung“ der „Darstellung“ betont (S. 423), aber die erkenntnistheoretischen und ethischen Fragen, die sich an die Darstellung des Holocaust knüpfen, ignoriert – wahrscheinlich auch, weil sie den „Diskurs über Nationalsozialismus und Holocaust […] noch immer von moralischen Restriktionen umstellt“ sieht (S. 13). Welche Restriktionen dies sein mögen, führt sie nicht aus, versteht aber beispielsweise den „Rückgriff auf Authentizität“ als „eine überzeitliche und zugleich moralisierend-wertende Kategorie“ (S. 22, dortige Hervorhebung). Diese sieht sie beispielsweise in Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ wirken. Es sei „Vorsicht geboten, wenn solche Kunstwerke als normsetzend angesehen und ihre Darstellungsweisen der Tendenz nach naturalisiert werden“ (S. 24). Angesichts dessen, dass gerade „Schindlers Liste“ nicht gerade selten kritisch diskutiert wurde, ist es schade, dass sich Kazmaier nicht dafür interessiert, wie sich solche Normen durchsetzen und Darstellungsweisen (angeblich) naturalisieren.

Wenn Kazmaier etwa Lawrence L. Langers leider noch immer nicht ins Deutsche übersetzte Studie „Holocaust Testimonies. The Ruins of Memory“ (New Haven 1991) zu Rate gezogen hätte, wäre ihr vielleicht aufgefallen, dass Zeugnisse von Überlebenden in der Rezeption zwar gern als „authentisch“ bezeichnet werden, dass ihr Diskurs aber um die Abwesenheit, das Trauma und entsprechend das notwendig Inauthentische der Erinnerung kreist. Dieses Versäumnis scheint nicht zufällig zu sein. Keine jüdische Stimme ist in Kazmaiers kleinen Kanon aufgenommen, was sie nicht weiter thematisiert. Jonathan Safran Foers Roman „Everything Is Illuminated“ (2002) hätte sich beispielsweise in Absetzung zu Krachts „Faserland“ (1995) angeboten. Der Großteil der von der Autorin analysierten Werke lässt sich kaum als Holocaust-Darstellungen verstehen, sondern beschäftigt sich mit dem Nationalsozialismus und dessen Rezeption. Entsprechend konstatiert sie: „Der Holocaust selbst findet […] selten Eingang in die Parahistorien.“ (S. 279) Vielleicht gibt es dafür gute Gründe? Kazmaier diskutiert sie nicht. Selbst Liberas Lego-KZ (1996) – diejenige Arbeit, die sich von allen Beispielen am direktesten mit den Vernichtungslagern auseinandersetzt – beansprucht nicht, den Holocaust darzustellen, sondern parodiert den gegenwärtigen Umgang mit ihm.

Kazmaiers Impetus, der weitgehend Libera folgt, ist gleichwohl nachvollziehbar. Auch ihr Versuch, unter dem Begriff einer „Poetik des Parodistischen“ (S. 29) eine andere Möglichkeit der Darstellung von Nationalsozialismus und Holocaust in Betracht zu ziehen, sollte interessieren. Doch Kazmaier argumentiert ausgesprochen formal. Immer wieder versteht sie – mit Linda Hutcheon – die „postmoderne Parodie“ (S. 29 und öfter) vor allem als Verfahren, das die sehr unterschiedlichen Arbeiten zwar vergleichbar erscheinen lässt, aber die Differenz der Darstellung zwischen Holocaust und Nationalsozialismus übergeht. Zudem wird der Begriff des Parodistischen sehr gedehnt. Artikuliert sich in „Faserland“ laut Kazmaier eine Groteske in Sinne Michail Bachtins, kehrt diese bei kaum einem anderen Beispiel wieder.

Mit Krachts Erstlingserfolg, einer Ikone der Popliteratur, eröffnet das Buch den parodistischen Reigen. Die auf sprachliche Figuren konzentrierte Lektüre stellt „ein karnevaleskes Erzählen“ fest, „das niemals sicher ist vor dem Einbruch der Vergangenheit inmitten der alltäglichen Gegenwart“ (S. 115f.). Warum aber in der modernen Gesellschaft, für die Bachtin selbst eine Verflachung der Körper beobachtet hat, mit Krachts Prosa diese als groteske wiedererscheinen (S. 88), erklärt sich nicht. Stattdessen kann man den Eindruck gewinnen, dass die Auseinandersetzung mit dem Roman die Auseinandersetzung mit dem Holocaust ersetzt: „sein Text“, schreibt Kazmaier über „Faserland“, ist „niemals zuende“ (S. 115, dortige Hervorhebung).

Das gilt sicher noch viel programmatischer für Thomas Meineckes „Hellblau“ (2001), in dem Techno, Henry Louis Gates’ jr. „signifyin(g) monkey“ (S. 157f.) und die Reflexion von Herders „Stimmen der Völker“ gemixt werden, eher Pastiche als Parodie. Trotz oder vielleicht wegen der Reflexivität des Romantextes kritisiert Kazmaier an einer Stelle, dass Meinecke „in ein topisches Muster christlich-deutscher Täter-Schuld“ (S. 172f.) verfalle, ohne erklären zu können, warum – wie sie behauptet – die Beobachtung einer Figur im Roman mit derjenigen des Autors in eins fallen soll. Ihr Argument, dass die im Text geweckte Assoziation eines entschuldenden Abendmahls „weder von den Figuren reflektiert“ noch „durch den Meinecke’schen Diskurs reflexiv gedeckt“ werde und so einen „blinden Fleck des Romans“ markiere (S. 173), überrascht etwas: Wäre gerade dieses scheinbar unreflektierte Vorgehen nicht als parodistische Strategie lesbar?

Walter Moers’ Comicserie „Adolf“ (1998–2006) darf sicher als eine der unterhaltsamsten Parodien der von Guido Knopp und anderen kulturindustriell produzierten ewigen Wiederkehr des „Führers“ gelten. Oder sind diese Comics nicht eher eine Satire? Das grenzt Kazmaier begrifflich nicht voneinander ab. Stattdessen liest sie originell die Figur „Adolf“ als Superhelden, die Episoden als eine an die Comic-Hefte angelehnte Serialität (statt sie naheliegender auf die Tradition der funnies zu beziehen). In diesem Kapitel ist die „entnaturalisierende Auseinandersetzung“ (S. 216), die Kazmaier in allen Beispielen aufzeigen möchte, am überzeugendsten vorgetragen, vielleicht auch, weil sie Bernd Eichingers und Oliver Hirschbiegels Film „Der Untergang“ als das parodierte Objekt ausführlich kritisiert.

Liberas Kunst-Objekt, eine Serie von mehreren Lego-Kartons, die der Künstler „Lego. Concentration Camp“ genannt hat, soll Kazmaiers Ansicht nach mit den Ikonen der Holocaust-Überlieferung spielen. Für eine Packung, auf der Skelette hinter dem Stacheldraht zu sehen sind, mag das stimmen, aber für die weiteren Packungen, in denen die Baracken und das Krematorium feilgeboten werden, gilt dies weniger. Genauer erläutert die Autorin es nicht, vielleicht auch deshalb nicht, weil sie keinen an Cornelia Brinks Buch „Ikonen der Vernichtung“ (Berlin 1998) geschärften Begriff von diesen hat. Sie versäumt es leider auch, Boris Luries Saturation Painting (Buchenwald) von 1959–1964 vergleichend zu diskutieren, in dem die ikonische Szene der Häftlinge hinter Stacheldraht mit pornographischen Bildern konstelliert ist.

Während Kazmaiers Lektüre von Kluges und Richters „Dezember“ (2010) den Begriff der Konstellation erwartbar plausibilisiert, ist ihre Analyse einer kurzen Sequenz von Godards „Histoire(s) du cinéma“ (1998) problematisch. Godard montiert Filmbilder aus Dachau, die George Stevens dort aufgenommen hatte mit einer Einstellung aus dessen Spielfilm „A Place in the Sun“ von 1951 und einem Ausschnitt aus Giottos Fresko „Noli me tangere“ (S. 333). Kazmaier resümiert Godards Verfahren als „eine Annäherung an die Opfer des Holocaust unter der Prämisse der (anarrativen) Distanz“ (S. 369). Doch die Geste des „Noli me tangere“ ist mitnichten anarrativ, sie vereinnahmt den Holocaust vielmehr durch eine christliche Erzählung. Mit Jean-Luc Nancys Lektüre mag das „Noli me tangere“ als „Metapher für einen angemessenen, darstellerischen und erinnernden Umgang mit den Toten der Konzentrationslager“ zu verstehen sein, wie Kazmaier vorschlägt (S. 364), doch ändert das wenig daran, dass die jüdischen Opfer strukturell in die Position des auferstehenden Christus gedrängt werden.

„Inglourious Basterds“ (2009) schließlich versetze die Zuschauenden in die Rolle des von Giorgio Agamben theoretisierten „unmöglichen Zeugen“ (S. 413). „In der Holocaustforschung wird der Muselmann eng mit dieser Position zusammengedacht.“ (ebd.) Also geraten die Zuschauer:innen in die Position des Muselmanns? Es gab, aber das ignoriert die Autorin, auch grundlegende Kritik an Agambens Theoretisierungsversuch.

Trotz aller hier zusammengestellten Momente der Kritik bleibt Kathrin Kazmaiers Versuch beachtenswert. Eine Fokussierung auf die Parodie nationalsozialistischer Ästhetik hätte der Arbeit zu größerer Kohärenz verholfen. Das Verhältnis von parodistischen Verfahrensweisen zu dem auf einem eliminatorischen Antisemitismus sich gründenden Massenmord zu bestimmen, bleibt künftigen Forschungen überlassen. Einen Hinweis geben könnte Jörn Wendlands Studie „Das Lager von Bild zu Bild. Narrative Bildserien von Häftlingen aus NS-Zwangslagern“ (Köln 2017)1, die zeigt, wie gerade serielle Häftlingszeichnungen die Gewalt und Vernichtung zu überliefern vermögen. Und diese historischen Dokumente verbindet mit den späteren popkulturellen Formaten, dass sie hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, den Holocaust zu erinnern und die Erinnerung weiterzutragen, lange Zeit kaum beachtet wurden.

Anmerkung:
1 Siehe dazu die Rezension von Cornelia Brink, in: H-Soz-Kult, 17.04.2018, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-25788 (03.02.2023).